Private Unternehmen, allen voran multinationale Unternehmen, bestimmen unseren Alltag. [1] Sie sind Teil einer Entwicklung, die keineswegs planlos verläuft und seit Jahrzehnten auf die vollständige Kommerzialisierung unserer Gesellschaft zusteuert.
Die Privatisierung unserer Gesellschaft verspricht den multinationalen Unternehmen eine rosige Zukunft, die großen Wirtschafts- und Finanzunternehmen entwickeln sich seit Jahren optimal. Während die Staaten sich verschulden, wachsen die finanziellen Barreserven der multinationalen Unternehmen auf dreistellige Milliardenbeträge an. Im Vergleich dazu werden die Staaten betriebswirtschaftlich gesehen zum Sanierungsfall.
Die Gesellschaft 4.0
Wir leben in der „Industrie 4.0“ und in der neuen Arbeitswelt „Arbeiten 4.0“. Weniger robuste Unternehmen müssen aufgeben, andere gehen aus der ständigen Krisensituation gestärkt hervor. Und die Staaten? Sie geben von der kommunalen bis zur EU-Ebene Kompetenz auf und verlieren weiter an Glaubwürdigkeit.
In der vordersten Linie dieser Entwicklung agieren multinationale Unternehmen wie Arvato, eine hundertprozentige Tochter des Medienunternehmens Bertelsmann. [2] Arvato ist als international führender Dienstleister mit 80 000 Beschäftigten in sämtlichen Ländern vertreten.
Im Angebot stehen Digital Marketing, Financial Services, Customer Relationship Management, Supply Chain Management und IT-Services sowie sämtliche Dienste rund um die Erstellung und den Vertrieb von Druckerzeugnissen und digitalen Speichermedien.
Damit ist Arvato prädestiniert für die privatwirtschaftliche Übernahme staatlicher, insbesondere kommunaler Aufgaben. Unter dem Geschäftsbereich „Healthcare“ betreibt Arvato „Supply Management im Gesundheitswesen“ und setzt damit die Privatisierung des Gesundheitsbereichs maßgeblich durch. [3]
Arvato ist in der Gesellschaft tief verwurzelt und trägt wesentlich dazu bei, die Privatisierung der Gesellschaft weiter voranzutreiben und damit die gesellschaftliche Macht der multinationalen Unternehmen auszubauen.
Die Welthandelsorganisation WTO als globale Basis für die multinationalen Unternehmen
Dafür, dass die privatwirtschaftliche Übernahme staatlicher Aufgaben wie durch Arvato reibungslos funktioniert, sorgt unter anderem die World Trade Organization (WTO), die Welthandelsorganisation. Sie steht für die umfassenden Liberalisierungsmaßnahmen im Welthandel und sichert weltweite Eigentumsrechte für die Wirtschaftsunternehmen.
Über die WTO wird das Recht der multinationalen Unternehmen durchgesetzt. Instrumente dafür sind die WTO-Abkommen General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen, General Agreement on Trade in Services GATS), dem Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen und Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS), dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums.
Diese Abkommen, die jederzeit die Liberalisierung des Handels gewährleisten sollen, stellen eine stabile globale Netzstruktur dar, über welche die multinationalen Unternehmen ihre Macht gegenüber den Staaten festigen.
Verständlich wird diese Situation auch dadurch, dass über die WTO-Strukturen über 90 Prozent des globalen Warenhandels geregelt wird. Faktisch bedeutet dies, dass die multinationalen Unternehmen die WTO nutzen, um ihren Handel nach eigenen Vorgaben global zu regeln. Denn über die Hälfte des Handels zwischen den Industriestaaten macht heute der Handel innerhalb der einzelnen Konzerne und innerhalb der Kooperationsnetzwerke verschiedener Konzerne aus.
Betroffen sind vor Ort die öffentlichen Verwaltungen – siehe die Geschäftstätigkeit von Arvato –, soziale und medizinische Dienste, die Bildung, der Verkehr, die Datenverarbeitung und viele andere Bereiche bis zur Kultur.
Big Data als Stütze der gesellschaftlichen Macht
Mit den nun privatisierten Dienstleistungen werden im Übrigen Informationen gehandelt, wobei die persönlichen Daten zunehmend in die Geschäftstätigkeit der multinationalen Unternehmen eingebunden werden. Dies bedeutet einen weiteren tiefen privatwirtschaftlichen Einschnitt in unsere demokratischen Strukturen.
Multinationale Unternehmen wie Arvato erhalten sämtliche Finanz- und sensiblen Daten der gesamten Bevölkerung. Die Daten werden betriebswirtschaftlich genutzt und verschaffen erhebliche globale Marktvorteile. Wer die Daten kennt, weiß Bescheid über die Bedürfnisse und Defizite der Bevölkerung.
Diese Daten besitzt auch die Mutterfirma von Arvato, Bertelsmann, die als Medienunternehmen Bildung verkauft. So kann Bertelsmann auf sein Unternehmensprofil abgestimmte Bildungsprogramme erarbeiten, die Arvato dann umsetzt. Ein perfektes privates Bildungsangebot, wo die staatliche Bildung an Bedeutung verliert.
Die Staaten ebnen den Weg für ein möglichst reibungsloses Funktionieren des Weltmarktes
Die Staaten ebnen den Weg für ein möglichst reibungsloses Funktionieren des Weltmarktes. Soziale und ökologische Hindernisse werden so weit aus dem Weg geräumt, dass sie den Weltmarkt nicht nachhaltig stören. Daran ändert auch die aktuelle Klimadiskussion nichts, ganz im Gegenteil, sie bestätigt diese Praxis. Das Elektroauto, als klimaschützend gepriesen, trägt ein wenig zum Schutz der natürlichen Umwelt bei und beruhigt ökologische Gemüter, garantiert aber weiterhin die gegenwärtige Verkehrsstruktur und mit ihr die betriebswirtschaftliche Sicherheit der Automobilkonzerne.
Die bisherige Entwicklung lässt keinen Zweifel daran, dass die Privatisierung der Gesellschaft sich ungebrochen fortsetzen wird. Wenn im Zuge dieser Entwicklung vorrangig multinationale Unternehmen für unsere soziale Sicherheit verantwortlich sein werden, drängt ein Fragenkomplex immer stärker in den Vordergrund:
- Wann ist der Zeitpunkt gekommen, mit der Privatisierung des Steuersystems zu beginnen? Weshalb sollen wir in einem ersten Schritt Steuern, die für die Kommunen bestimmt sind, nicht direkt an einen der führenden globalen Dienstleister Arvato entrichten, der dann auch die Verteilung der Steuergelder durchführt, wie Bezirk East Riding in Yorkshire? Dort übernahm Arvato 2005 die Verwaltung, trieb die Steuern ein, zahlte unter anderem im Sozialamt das Wohngeld aus, betrieb das Computernetz und die gesamte kommunale Infrastruktur.
- Weshalb soll Arvato nicht seine weltweiten Erfahrungen einbringen und schließlich auch die Finanzämter übernehmen?
Die Diskussion zu zahlreichen weiteren Fragen drängt sich auf
- Welches Konfliktpotenzial entwickelt sich, wenn der Staat entsprechend WTO-Entscheidungen soziale und ökologische Hindernisse aus dem Weg räumt, die dem globalen freien Fluss der Waren und Finanzen im Wege stehen?
- Welche schwelenden Konflikte entstehen in den industriell weniger stark entwickelten Regionen, wenn die Privatisierung der Gesellschaft durch multinationale Unternehmen aus den Industriestaaten durchgesetzt wird?
- Werden nicht auch die politischen Einrichtungen überflüssig, wenn private Unternehmen die kommunalen Verwaltungen übernehmen, wie das Beispiel Arvato zeigt?
- Wann wird die Privatisierung der Gesellschaft so weit entwickelt sein, dass multinationale Unternehmen die politischen Schaltstellen von der Kommune bis zur obersten staatlichen Ebene besetzen?
[1] Die Inhalte dieser Seite sind überwiegend entnommen aus: Schott, Peter 2018: Die Wirtschaft – Dein Freund und Helfer.- Thesen 1 und 9, Kindle eBook.
[2] www.bertelsmann.de/bereiche/arvato/#st-1
[3] Arvato-supply-chain.com/industry-solutions/healthcare