Politische Willensbildung ohne die Parteien
Die Parteien haben ihre Rolle in der Gesellschaft verwirkt. Sie passen nicht mehr in eine Zeit, in der ihr Beitrag zur politischen Willensbildung unbedeutend geworden ist. [1] Die Politik der Parteien interessiert heute nur noch am Rande. Viel interessanter ist die Betriebspolitik von Apple und Microsoft geworden, wann das nächste iPhone auf den Markt kommt, und die Information, wie gut die neue Windows-Version funktioniert. Die Politik von Facebook, Google und Twitter beschäftigt viele Menschen mehr als die Politik der Bundesregierung.
Computer-Zeitschriften mit den neusten Nachrichten aus den Unternehmen der Kommunikationstechnologien und der Software-Entwicklung haben Zeitschriften wie „Der Spiegel“ abgelöst, wo Informationen aus den Parteizentralen auf großes öffentliches Interesse stießen.
Heute interessiert in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr, wer in der einen oder anderen Partei sich wann zu welchem Thema äußert. Nicht einmal Streitereien innerhalb der Parteivorstände sind von Belang, auch wenn die politischen Gegner sich stets bemühen, diese medienwirksam darzustellen.
Covid-19 und der gegenwärtige Krieg in Europa bringen den Parteien eine kurze Renaissance, eine Wiedergeburt in der öffentlichen Bedeutung. Die Parteien demonstrieren ihre staatstragende Rolle, indem sie tief greifende Entscheidungen für unseren Alltag treffen. Währenddessen allerdings laufen die Geschäfte der multinationalen Unternehmen, angepasst an die neuen globalen Verhältnisse, ungestört weiter.
Die Parteipolitik wie die Waren im Kaufhaus
Bis in die 1980er Jahre waren Meinungen der Parteien zu den wesentlichen gesellschaftlichen Fragen in der Öffentlichkeit richtungsweisend. Heute übernehmen die Parteien, von Ausnahmen abgesehen, die populären, im Internet veröffentlichten Meinungen.
Die Online-Kommunikation hat mit ihrer schnellen Verbreitung von Informationen dazu beigetragen, dass in den Medien Meinungen aus den Parteien meistens nur als Randnotizen erscheinen. Bis die Parteien sich zu Themen und Sachverhalten äußern, wurde im Internet schon die übernächste Nachricht verarbeitet und von den Internet-Nutzern zur öffentlichen Meinung gemacht. Die Parteien können sich diesen veröffentlichten Meinungen nur noch anschließen.
So ist die Parteipolitik zum Kaufhaus geworden. Angebote zur Steuersenkung finden wir bei der FDP, grüne Farbe zum Übertünchen wird von den Grünen angeboten, runderneuerte Sozialstandards von der SPD und bei den Linken günstige soziale Angebote, allerdings nur bis zu deren Regierungsbeteiligung. Nicht zu vergessen die CDU und CSU mit ihren Schnäppchen für die Wirtschaft. Die Haltbarkeit der einzelnen Angebote wird allerdings immer kürzer, entsprechend der zunehmenden Schnelligkeit, mit der Meinungen in den sozialen Netzen gehandelt werden.
Die Politik als Kaufhaus wäre kein Problem, wenn die Parteien nicht stellvertretend für die Bevölkerung die Staatsgeschäfte führen würden. Denn unser Kaufhausverhalten gegenüber den Parteien übertragen wir auf den Staat. Doch wie wirkt sich diese Haltung auf das Fundament des Staates aus und auf unser Verhältnis zum Staat selbst?
Der Bedeutungsverlust der Parteien schwächt den Staat
In der Weimarer Republik waren die Parteien verfassungsrechtlich nicht verankert, sie waren gesellschaftliche Organisationen wie viele andere auch. Heute wirken die Parteien, von Ausnahmen abgesehen, auch nicht mehr an unserer Meinungs- und Willensbildung mit. Das Verhältnis hat sich umgekehrt, die Parteien richten sich nach den durch die Medienunternehmen veröffentlichten Meinungen. Daraus resultieren Fragen, die die Basis unserer Gesellschaft betreffen.
- Sind die Parteien nach 100 Jahren wieder zu mehr oder weniger beliebigen gesellschaftlichen Organisationen geworden?
- Was bedeutet heute ein zerklüftetes Vielparteiensystem wie in der Weimarer Republik?
Sind die Parteien zu einem gesellschaftlichen Randphänomen geworden? - Passen die Aufgaben der Parteien noch mit der digitalen Transformation der Gesellschaft zusammen?
Der gesellschaftliche Bedeutungsverlust der Parteien führt zu einer Schwächung des Staates. Die Staaten werden heute von Organisationen getragen, die nicht mehr die vor langer Zeit ihnen zugewiesene Bedeutung haben. Damit stellt sich eine weitere Frage.
- Weshalb sind dann die Parteien überhaupt noch berechtigt, diese staatstragende Rolle zu übernehmen, die sie innehaben?
Diese Rolle ist zwar durch das Grundgesetz legitimiert und in anderen Staaten ebenfalls gesetzlich festgelegt.
- Aber sollte eine solche gesetzliche Verankerung nicht auch auf einer soliden gesellschaftlichen Verankerung beruhen?
Der Widerspruch, dass trotz dieser Entwicklung die Parteien ein fester Bestandteil des Verfassungsaufbaus sind, wird durch die Privatisierung der Gesellschaft und des dadurch bedingten Machtzuwachses der multinationalen Unternehmen weiter zunehmen.
- Ist deshalb die herausgehobene gesellschaftliche Stellung der Parteien gegenüber den anderen gesellschaftlichen Organisationen, auch solchen im Bereich der Wirtschaft, noch gerechtfertigt?
Und eine weitere Frage drängt sich auf. Die Parteien wirken bei ihrer im Grundgesetz Art 21 (1) festgeschriebenen „Willensbildung des Volkes“ nur noch in einem unbedeutenden Maß mit.
- Sind die Parteien noch Parteien im Sinne der ursprünglichen Idee des Staatsaufbaus?
- Ist die heute untergeordnete gesellschaftliche Rolle der Parteien mit dieser ursprünglichen Idee noch vereinbar?
[1] Die Inhalte dieser Seite sind überwiegend entnommen aus:
Schott, Peter 2018: Die Wirtschaft – Dein Freund und Helfer.- These 3, Kindle eBook.